Aus eurem Müll,
den ich neu kombiniere,
lässt sich das Leben
nachvollziehen, das ihr führet!

Diese weggeworfenen Spuren,
die ihr hinterlasst, sind für mich Beginn

Beginn, eine Welt für mich zu schaffen,
wo der Humus der Psyche einen
Horizont webt,
wo der Himmel tatsächlich noch blau ist,
aber die Erde bereits geschunden.

Wo Risse die Erd-Mutter verwunden,
und es gibt längst kein Gesunden.

Vernarbt bis in alle Ewigkeit.

Klaus Sobolewski
(Text 01.05.1999 geschrieben für Michael Sachs)

Maske

Da bricht etwas auf,
wächst, verfärbt sich, bricht ab
oder in sich zusammen –
ein stumpfes Schwarz schließt
in lichternde Farben ein.
Was da aufhellt an den Blättern
und müllbestückten Kapackplatten,
ist der Glanz – ein feiner Lack
über den Erinnerungen.
Was sich da einbrennt sind:
Farben, Zeichen und Fragen.
Fiebrig zerreiben Finger Pigmente,
morsen Signale: Hoffnung, Schlucht, Echo,
einer würfelt sich eine Landschaft zusammen.
Zwischen Sperrmüll und Werbung,
zwischen Klöppelspitzen und Uranhalden,
zwischen Neubauten und Abrisshäusern
spanne ich mich einzufangen,
aufzufangen, mein
Netz aus Bildern.

Michael-Thomas Sachs


Expressionistische Müllverwertung


Liebe allein reicht für die Kunst nicht aus. Mich interessiert, wie sie entsteht. (Giuliano Gori) Im alten Annaberg sitzt der harte Kern der Erzgebirgler. Teils frühzeitig im Wetterjahr schon durch Schnee und Eis von der Außenwelt abgeschnitten, geben sich die Annaberger der Holzbildhauerei, dem Klöppeln und anderem handfesten Brauchtum hin. Einige der Einheimischen zeichnen und malen auch. Zu ihnen gehört der 1962 in Annaberg geborene Michael-Thomas Sachs.

Der Besucher findet ihn unter dem Dach eines der wunderbaren alten Häuser, wenn er vom Markt eine der kleinen Gassen bergauf, vorbei an der Schnitzerschule, in der weißbehaarte Männer mit grauen Latzschüren geschäftig hin und her laufen, geht. Miniatur ist seine Wohnstube, wie seine Küche und sein Schlafraum auch. Drin steht ein altes, aufgeputztes Chaiselongue vor einem mit geklöppelter Spitze bedeckten Tisch. Großmutters Porzellanfiguren versammeln sich bieder gebend, im Glasschrank. Alte Bücher und Gebrauchsgegenstände liegen nebeneinander, und eine rot blinkende Mini-Telefonanlage steuert das Flair der sechziger Jahre bei. Hier sind keine Abgründe erkennbar. Um so erstaunter schaut der Besucher auf die an der Wand hängenden, in Holz gerahmten Kompositionen, die irgendwer irgendwann weggeworfenen hat, mit Eisenteilen, -federn, Schnüren, Pressformen und gar, jedoch ungebraucht zu ihrem eigentlichen Zweck, Kondomen! Auf diesen Platten versammelt sich Gesellschaftsmüll, im krassen Gegensatz stehend zur betulich wohnlichen Umgebung Auch im Gegensatz zu Sachs' ehemaliger Zirkelmalerei bei dem Maler Carl-Heinz Westenburger, unter dessen Aufsichter Anfang der achtziger Jahre zeichnete. So etwas kann ma n doch nicht machen, hieß es damals, als er mit seinen Collagen begann.
Der gelernte Gebrauchsgrafiker mit Spezialisierung als Werbemittelhersteller sagt sehr expressionistisch: "Da bricht etwas auf, wächst, verfärbt sich, bricht ab - ein stumpfes Schwarz schließt lichternde Farbe ein. Was da aufhellt an den Blättern und Müll bestückten Platten, ist der Glanz, ein feiner Lack über den Erinnerungen. Was sich da einbrennt, sind: Farben, Zeichen und Fragen. Fiebrig zerreiben Finger Pigmente, morsen Signale: Hoffnung, Schlucht, Echo, einer würfelt sich eine Landschaft zusammen. Zwischen Sperrmüll und Werbung, zwischen Klöppelspitzen und Uranhalden, zwischen Neubauten und Abrisshäusern spanne ich, mich einzufangen, aufzufangen, mein Netz aus Bildern." Michael- Thomas Sachs versucht, sich seine Landschaft ideal zusammenzuwürfeln. Ideal heißt bei ihm, daß Rache für Verletzungen, die anderem Leben und Gegenstand eigennützig beigebracht wurde auf schnellem Fuß folgt, folgen muß. Dekadent, meint Sachs, ist nicht, wer im Müll lebt; auch nicht, wer im Biederen lebt. Es gibt viele, die bieder im Müll leben. Dekadent ist, wer formend sein Umfeld zerstört. Sachs verlangt Solidarität mit der Natur und lebt sie auch. Er hält dem Besucher einen geschliffenen Achat aus seiner Stein- und Kristallsammlung, die er während seiner Streifzüge durch erzgebirgische Bergwerke aufbaute, vor Augen. Das ist Kunst, sagt er. Die Schraffur ist gewachsen. Nicht mehr ist zu tun, als sie sichtbar zu machen. Hier glaubt der
Besucher das Ziel zu sehen, welches der Künstler mit seiner Malerei, seinen Collagen, Assemblagen, Zeichnungen und seiner Druckgrafik anpeilt: Metamorphes greifbar, absehbar zu machen. An den inzwischen sehr abzitierten Satz, der Weg sei das Ziel, kann man eingedenk Sachs' jüdischer Vorfahren das Talmud'sche Buch der Väter anklammern: Weg ist Schuld. Diese Zerrissenheit ist aus all seinen Arbeiten spürbar. Trotzdem er keiner Stilrichtung zuordenbar ist, sieht der Besucher doch deutlich, weitab kunstgeschichtlicher Schubladen, Klimtsche Fein- und Schönheit, Munchsche Verzweiflung, Schielesche Verderblichkeit und Beckmannsche dunkle Expression. Wenn es denn möglich wäre, liefe es dem Betrachter der Bilder schwarz und gelb; grün und rot den Rücken herab. Die Vielfältigkeit Sachsscher Ausdrucksformen fassen die wenig variierenden Titel seiner Arbeiten kaum zusammen. Tanz, Fels, Inneres, Gestein und Landschaft Hoffnung nennt er sie, fern jeglicher intellektuellen Verbrämung. Titel, sagt Sachs, sind überflüssig. Das Bild ist da, jetzt kann sich der Betrachter sein eigenes davon machen. Der Prozess, welcher in Sachs das Bild hat entstehen lassen, versucht einen Prozess im Betrachter anzuregen. Gefertigte Dinge werden teils rückläufig verändert. Wohnzimmerlampen aus Plastik erhalten einen bräunlich pelzigen Überzug. Aus bedrohlich schwarzem Untergrund wächst plötzlich ein leuchtend rotes und gelbes Relief. Postkarten verändern sich zu Sonderangeboten durch rote Preisaufkleber mit Deo-Gebrauchsanweisung. Was bleibt vom Sommerschlussverkauf, fragt sich Sachs. Die Gegenstände verschwinden irgendwo, nachdem sie konsumiert wurden und tauchen später, viel später -auch- irgendwo auf Müllhalden auf. Diese zu inspizieren gehört zum Pflichtprogramm Michael-Thomas Sachs. Dinge, die aus einer zivilisierten Welt hinausgetragen wurden, trägt er, nachdem er ihnen neue angemessene Position verschafft hat, wieder hinein. Be diesem Positionieren überlässt er etwas dem Zufall. Er ist kein Müllverstreuer sondern Müllverwerter, im wahrsten Sinne des Wortes: Das er damit auf Interesse nicht nurbeim Abfallamt stößt, zeigt auch die Liste seiner Ausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen. Diese beginnt in Chemnitz, führen über Bayreutt nach Düsseldorf, Frankfurt a. M. bis hin nach Bratislava. Weipert in Tschechien und Paide in Estland. Sehr konzentriert arbeitet Sachs auch an seinem Marketing. Detailliert geordnete, dicke Bildermappen, die Fotos von gut eintausend Bildern beinhalten, sind sofort zur Hand und deuten auf ein großes Arbeitspensum hin. Seine neueste Arbeit liegt druckfrisch auf dem Tisch. "Annaberger Weibsbilder" heißt das Buch und zeigt Sachs als selten originären Illustrator. Und schon beim Abschied fragt sich der Besucher, erinnernd seiner eingangs erwähnten Behauptung, ob nicht doch irgendwo in diesem Umfeld zwischen all dem Krimskrams vergangener Zeiten etwa; Abgründiges zu finden. Da fällt der Blick auf einen Rabenvogel, der ausgestopft den winzigen Durchgang vom winzigen Wohnzimmer in die noch winzigere Küche bewacht. Jens Pönitzsch _Stadtstreicher 1996_


In Szene gesetzter Müll

In seinen Kunstwerken spiegelt sich die Gesellschaft. Seine Arbeiten leben vom Hingeworfenen. Es sind auf Flächen arrangierte Nägel, Schrauben, Stanzteile, Folien. Untergründe und Farben tragen die Sichten des Annaberg-Buchholz Künstlers Michael-Thomans Sachs in die Rahmen seiner Bilder. Was der Betrachter schließlich vor Augen hat, sind in Szene gesetzte Abfälle. Die Eigenwilligkeit des Vierzigjährigen brachte ihm nach Ausstellung bei namhaften Galeristen und Firmen im gesamten Bundesgebiet jetzt eine Einladung nach Dresden. Anlässlich des heute stattfindenden 3. Sächsichens Umweltbildungstages im World Trade Center (WTC) Dresden lud die sächsiche Landesstiftung Natur und Umwelt Michael-Thomas Sachs ein, eine Ausstellung unter dem Thema "Expressionistische Müllverwertung" zu gestalten. "Kunst hat sich schon immer mit Umwelt befasst und unterstützt deshalb auch das Anliegen des Umweltbildungswerkes Sachsen", erklärt die Leiterin für Öffentlichsarbeit der Akademie, Margita Herz. "Ich freue mich vor allem auf dem Kontakt mit Kindern", formuliert Sachs seine Ewartungen an den Ausstellungs- und Aktionstag in der Landeshauptstadt. Am Vormittag sollen Besucher des WTC die Möglichkeit haben, sich selbst mit ausgedienten Pinseln, Porzellanstücken, Stanzteilen, Schlössern und Schrauben auszuprobieren. "Ich möchte das künstlerische Potenzial von Menschen, vor allem Kindern, wecken und ihnen einfache Materialien ans Herz legen", wünscht sich der Kreisstädter.

Christine Bergmann_Freie Presse_3.7.2003

Schäbiges Material mit Ausstrahlung

Annaberger Künstler stellt in Schloss aus- Bilder aus Müll-edle Ergebnisse
Annaberg/ Schloss Lichtenwalde. Glasscherben, transparente Ziegelstücke, alte Parfümzerstäuber und mattweiße Elemente umgeben ein bearbeitetes Mädchenportrait. Der Blick in das grob gerahmte Kunstwerk inspiriert, alle Sinne spielen zu lassen. Weiblichkeit ,Weite und Transparenz auf engen Raum....
25 Kunstwerke des Annaberger Künstler Thomas-Michael Sachs sind seit Dienstag in der Dachetage des Schlosses Lichtenwalde bei Flöha zu sehen. Unter dem Thema "Experimentelle Natur" zeigt der Vierzigjährige was aus Materialien, die normalerweise Mülltonnen füllen, veredelt als Kunst wiedererscheinen kann. "Das Faszinierende in allen seinen Werken ist der offensichtliche Widerspruch zwischen dem oftmals schäbigen Material einerseits und der edlen Ausstrahlung andererseits" formulierte Kunstwissenschaftler Alexander Stoll während der festlichen Vernissage. Klangimprovisationen von Julius Clausnitzer und Matthias Werner mit Geräuschen aus Recycelmaterial riefen die Bilder klanglich auf bauten eine ungewöhnliche Spannung.
Obwohl die Werke nicht ohne Farbe und Pinsel auskommen, dominieren doch Tablettenfolien, Schrauben, Leiterplatten, Pralinenplasten, Lederreste und alles aus dem unerschöpflichen Fundes von Müllaktionen. Was daraus entsteht, sind mehrschichtige Kunstwerke, die Tiefe projizieren und dem Betrachter anregen, auf Entdeckungsreise in die Vergangenheit zu gehen. "Es ist ein freies Malen", reflektiert Sachs selbst. "Ich fange an und arbeite mich, oft über Monate, in die Thematik rein." Er ist ein Ästhet und weiß, was schön ist. Seine künstlerische Messlatte liegt inzwischen hoch. Er arbeitet mit Händen und Füßen, fühlt sich als Archäologe und Restaurateur. Wichtig wurden ihm in den letzten Jahren experimentelle Arbeiten mit Kindern und Patienten.
"Jeder hat ein künstlerisches Potential in sich", hat der Annaberger erkannt. Wer es entdeckt, registriert Freude, findet Bestätigung.
Die sechswöchige Ausstellung wurde von der Sächsischen Landesstiftung Natur und Umwelt forciert, die eine Außenstelle im Schloss Lichtenwalde betreibt. Nach zahlreichen Präsentationen u. a, in Frankfurt, Beyreuth Düsseldorf und in verschiedenen europäischen Staaten hat Sachs eine neue Ebene in seinen künstlerischen schaffen betreten. "Ich weiß, wo ich hin will."